„Neue Luzerner Zeitung“ 18. Oktober 2011
Fiasko im Fall „Rütli-Bomber“
Am Schluss blieb nur ein wertloser Geheimdienst-Hinweis: So das Fazit der Bundesanwaltschaft nach über vierjährigen Ermittlungen im Fall des sogenannten „Rütli-Bombers“.
„Es konnten keine Beweise oder entsprechende Indizien erbracht werden, die den Beschuldigten in persönlicher, sachlicher oder örtlicher Hinsicht in die Nähe der Sprengstoffanschläge bringt“, schreibt die Bundesanwaltschaft. Es geht um den heute 39-jährigen Elektromonteur, der verdächtigt wurde, am 1. August 2007 auf der Rütli-Wiese einen Sprengsatz gezündet zu haben. Er wurde zudem beschuldigt, gut einen Monat später, am 4. September 2007, Sprengkörper am Wohnsitz von drei Mitgliedern der Rütli-Kommission in Attinghausen, Stans und Luzern zur Detonation gebracht zu haben.
Verletzt wurde niemand. Auf dem Rütli allerdings nur mit Glück, weil die Bundesfeier mit der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey früher als geplant zu Ende war und sich niemand mehr in der Nähe des in der Wiese vergrabenen Sprengsatzes aufhielt. Mit Verfügung vom 11. Oktober hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen den einzigen Beschuldigten eingestellt. Er sass 2008 mehr als zehn Monate in Untersuchungshaft und erhält nun neben einer Entschädigung auch eine Genugtuung von 10.000 Franken.
Auch die Privatkläger, zu denen zwei von den Anschlägen betroffene Mitglieder der Rütli-Kommission gehörten, zogen ihre Anträge zurück. Einzig im Zusammenhang mit einem versuchten Brandanschlag im Kanton Zürich erliess die Bundesanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Übergabe von Sprengstoffen und wegen Drohung gegen Beamte und verurteilte den in diesem Punkt Geständigen zu einer bedingten Geldstrafe. Der Mann gilt als Waffennarr und ist Staatsbürger von Japan, Irland und Kanada.
In der 21-seitigen Einstellungsverfügung, die dieser Zeitung vorliegt, bedauert die Bundesanwaltschaft selbstkritisch die sehr einseitigen Ermittlungen, macht aber auch klar, wen sie dafür verantwortlich hält: Den Dienst für Analyse und Prävention (DAP), der heute in den Nachrichtendienst des Bundes integrierte Inlandgeheimdienst, sowie den Bundesrat. Der DAP war es nämlich, der in einem Brief vom 10. September 2007 die Bundesanwaltschaft den Elektromonteur als Tatverdächtigten nannte. Und zwar, wie sich erst später herausstellte, auf Grund von Aussagen einer Auskunftsperson bei der Kantonspolizei Aargau in Baden.
Geheimdienstakten bleiben unter Verschluss
Vom Inhalt dieser Aussagen erfuhren aber weder die Bundesanwaltschaft noch der eidgenössische Untersuchungsrichter etwas. Denn der Nachrichtendienst hielt die Akten unter Verschluss und verwies auf den Quellenschutz und Gefahren an Leib und Leben für die Auskunftsperson. Nach einem langen Hin und Her schützte am 20. Dezember 2010 auch der Bundesrat diese Argumentation und verweigerte dem Untersuchungsrichter den Zugang zu den Geheimdienstakten. Untersuchungsrichter Hans Baumgartner, der inzwischen nicht mehr in Bundesdiensten steht, zog damals Parallelen zur bundesrätlichen Aktenvernichtung im Atomschmuggelfall Tinner und sagte dieser Zeitung: „Der Gedanke ist ungeheuerlich, sich auch in der Schweiz daran gewöhnen zu müssen, dass die Exekutive die Justiz behindert.“
Nach dem Bundesratsbeschluss bleibe die nüchterne Feststellung, dass das Schreiben des DAP im Falle des Beschuldigten bezüglich eines konkreten Tatverdachts „mangels irgendeines konkreten Deliktbezugs ohne weitere verwertbaren Hintergrundinformationen in einem Strafverfahren wertlos ist“, doppelt jetzt die Bundesanwaltschaft nach. In sich zusammengefallen sei auch das einzig mögliche Belastungsindiz für eine Anwesenheit des Beschuldigten in der Nähe des Tatorts im Fall Attinghausen.
Vage Vermutungen lösen sich in Luft auf
„Was blieb, waren einzelne vage geäusserte Vermutungen in Richtung des Beschuldigten, die sich jedoch bei entsprechenden späteren Nachfragen in Luft auflösten bzw. sich herausstellte, dass sie zum Teil aufgrund von Fragen gemacht wurden, die den Beschuldigten bereits als Täter suggerierten“, heisst es in der Einstellungsverfügung weiter. Dass sich die Ermittlungen wohl nicht zuletzt wegen des DAP-Hinweises auf den Beschuldigten als Alleintäter konzentriert hätten, sei bedauerlich. Denn damit sei verpasst worden, die Ermittlungen in eine andere, eventuell erfolgreichere Richtung zu lenken. Nun betrachtet die Bundesanwaltschaft solche Ermittlungen nicht mehr als erfolgversprechend, weshalb sie auch das Verfahren gegen Unbekannt einstellte.
Der Verteidiger, der Berner Rechtsanwalt Alexander Feuz, sprach von einer Falschinformation des DAP. Er hatte früher bereits den Verdacht geäussert, dass ein agent provocatuer an den Anschlägen beteiligt gewesen sein könnte. Feuz prüft nun rechtliche Schritte gegen Medien, die seinen Klienten vorverurteilt hätten.
Autor: Balz Bruppacher
„Es konnten keine Beweise oder entsprechende Indizien erbracht werden, die den Beschuldigten in persönlicher, sachlicher oder örtlicher Hinsicht in die Nähe der Sprengstoffanschläge bringt“, schreibt die Bundesanwaltschaft. Es geht um den heute 39-jährigen Elektromonteur, der verdächtigt wurde, am 1. August 2007 auf der Rütli-Wiese einen Sprengsatz gezündet zu haben. Er wurde zudem beschuldigt, gut einen Monat später, am 4. September 2007, Sprengkörper am Wohnsitz von drei Mitgliedern der Rütli-Kommission in Attinghausen, Stans und Luzern zur Detonation gebracht zu haben.
Verletzt wurde niemand. Auf dem Rütli allerdings nur mit Glück, weil die Bundesfeier mit der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey früher als geplant zu Ende war und sich niemand mehr in der Nähe des in der Wiese vergrabenen Sprengsatzes aufhielt. Mit Verfügung vom 11. Oktober hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen den einzigen Beschuldigten eingestellt. Er sass 2008 mehr als zehn Monate in Untersuchungshaft und erhält nun neben einer Entschädigung auch eine Genugtuung von 10.000 Franken.
Auch die Privatkläger, zu denen zwei von den Anschlägen betroffene Mitglieder der Rütli-Kommission gehörten, zogen ihre Anträge zurück. Einzig im Zusammenhang mit einem versuchten Brandanschlag im Kanton Zürich erliess die Bundesanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Übergabe von Sprengstoffen und wegen Drohung gegen Beamte und verurteilte den in diesem Punkt Geständigen zu einer bedingten Geldstrafe. Der Mann gilt als Waffennarr und ist Staatsbürger von Japan, Irland und Kanada.
In der 21-seitigen Einstellungsverfügung, die dieser Zeitung vorliegt, bedauert die Bundesanwaltschaft selbstkritisch die sehr einseitigen Ermittlungen, macht aber auch klar, wen sie dafür verantwortlich hält: Den Dienst für Analyse und Prävention (DAP), der heute in den Nachrichtendienst des Bundes integrierte Inlandgeheimdienst, sowie den Bundesrat. Der DAP war es nämlich, der in einem Brief vom 10. September 2007 die Bundesanwaltschaft den Elektromonteur als Tatverdächtigten nannte. Und zwar, wie sich erst später herausstellte, auf Grund von Aussagen einer Auskunftsperson bei der Kantonspolizei Aargau in Baden.
Geheimdienstakten bleiben unter Verschluss
Vom Inhalt dieser Aussagen erfuhren aber weder die Bundesanwaltschaft noch der eidgenössische Untersuchungsrichter etwas. Denn der Nachrichtendienst hielt die Akten unter Verschluss und verwies auf den Quellenschutz und Gefahren an Leib und Leben für die Auskunftsperson. Nach einem langen Hin und Her schützte am 20. Dezember 2010 auch der Bundesrat diese Argumentation und verweigerte dem Untersuchungsrichter den Zugang zu den Geheimdienstakten. Untersuchungsrichter Hans Baumgartner, der inzwischen nicht mehr in Bundesdiensten steht, zog damals Parallelen zur bundesrätlichen Aktenvernichtung im Atomschmuggelfall Tinner und sagte dieser Zeitung: „Der Gedanke ist ungeheuerlich, sich auch in der Schweiz daran gewöhnen zu müssen, dass die Exekutive die Justiz behindert.“
Nach dem Bundesratsbeschluss bleibe die nüchterne Feststellung, dass das Schreiben des DAP im Falle des Beschuldigten bezüglich eines konkreten Tatverdachts „mangels irgendeines konkreten Deliktbezugs ohne weitere verwertbaren Hintergrundinformationen in einem Strafverfahren wertlos ist“, doppelt jetzt die Bundesanwaltschaft nach. In sich zusammengefallen sei auch das einzig mögliche Belastungsindiz für eine Anwesenheit des Beschuldigten in der Nähe des Tatorts im Fall Attinghausen.
Vage Vermutungen lösen sich in Luft auf
„Was blieb, waren einzelne vage geäusserte Vermutungen in Richtung des Beschuldigten, die sich jedoch bei entsprechenden späteren Nachfragen in Luft auflösten bzw. sich herausstellte, dass sie zum Teil aufgrund von Fragen gemacht wurden, die den Beschuldigten bereits als Täter suggerierten“, heisst es in der Einstellungsverfügung weiter. Dass sich die Ermittlungen wohl nicht zuletzt wegen des DAP-Hinweises auf den Beschuldigten als Alleintäter konzentriert hätten, sei bedauerlich. Denn damit sei verpasst worden, die Ermittlungen in eine andere, eventuell erfolgreichere Richtung zu lenken. Nun betrachtet die Bundesanwaltschaft solche Ermittlungen nicht mehr als erfolgversprechend, weshalb sie auch das Verfahren gegen Unbekannt einstellte.
Der Verteidiger, der Berner Rechtsanwalt Alexander Feuz, sprach von einer Falschinformation des DAP. Er hatte früher bereits den Verdacht geäussert, dass ein agent provocatuer an den Anschlägen beteiligt gewesen sein könnte. Feuz prüft nun rechtliche Schritte gegen Medien, die seinen Klienten vorverurteilt hätten.
Autor: Balz Bruppacher